Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs - Von Anfang an verkalkuliert

Vorbeimarsch von deutschen Truppen an Adolf Hitler (auf einer Böschung erhöht stehend und grüßend), September 1939

Vorbeimarsch von deutschen Truppen an Adolf Hitler in Polen im September 1939 (© Bundesarchiv, Bild 183-S55480 / CC-BY-SA 3.0)

In den frühen Morgenstunden des 1. September 1939 fielen die ersten Schüsse und Bomben des Zweiten Weltkriegs. Der lange vorbereitete Überfall auf Polen durch die deutsche Wehrmacht hatte begonnen. In Verdrehung der tatsächlichen Geschehnisse erklärte Adolf Hitler, als er am selben Tag vor den Reichstag in Berlin trat: »Polen hat nun heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen.«

Hitler und die politische Führung der ­NSDAP hofften, nachdem sie Polen angegriffen hatten, noch immer, man könnte ­England aus dem Konflikt heraushalten. Am Abend des 2. ­September lud man Sir Horace ­Wilson, den engen Berater des britischen Premierministers Neville Chamberlain, zu Gesprächen nach Berlin ein, um Zeit zu gewinnen. Wilson antwortete unverblümt, zunächst müssten die deutschen Truppen von polnischem Territorium zurückgezogen werden. Andernfalls werde Großbritannien kämpfen. (Kershaw 313)

Am Morgen des 3. September übergab der britische Botschafter in Berlin, dem Chefdolmetscher des Auswärtigen Amtes in Berlin, Paul Schmidt, das britische Ultimatum im Auswärtigen Amt in der Wilhelmstraße 76. Außenminister Ribbentrop war nicht bereit gewesen, den britischen Botschafter zu empfangen. (Kershaw 314) Schmidt fuhr sofort in die Neue Reichskanzlei und bahnte sich durch das Gedränge nervös wartender Minister, hoher NS-Funktionäre und Militärs einen Weg zum Arbeitszimmer Hitlers, der an seinem Schreibtisch saß. Ribbentrop stand etwas rechts von ihm am Fenster. Der Chefdolmetscher hat diese beklemmende Szene nach dem Krieg beschrieben:

»Beide blickten gespannt auf, als sie mich sahen. Ich blieb in einiger Entfernung vor Hitlers Tisch stehen und übersetzte ihm dann langsam das Ultimatum der britischen Regierung. Als ich geendet hatte, herrschte völlige Stille ... Wie versteinert saß Hitler da und blickte vor sich hin. [...] Er saß völlig still und regungslos an seinem Platz. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, wandte er sich Ribbentrop zu, der wie erstarrt am Fenster stehen geblieben war. ›Was nun?‹ fragte Hitler seinen Außenminister mit einem wütenden Blick in den Augen, als wolle er zum Ausdruck bringen, dass ihn Ribbentrop über die Reaktion der Engländer falsch informiert habe. Ribbentrop erwiderte mit leiser Stimme: ›Ich nehme an, dass die Franzosen uns in der nächsten Stunde ein gleichlautendes Ultimatum überreichen werden.‹« (Schmidt 359)

So geschah es. Der französische Botschafter übergab kurz darauf ein sinngemäß gleichlautendes Ultimatum. Hermann Göring reagierte im Vorzimmer zu Hitlers Arbeitszimmer vor den dort anwesenden Kabinettsmitgliedern und prominenten Parteimitgliedern auf die Nachrichten mit dem Bemerken: »Wenn wir diesen Krieg verlieren, dann möge uns der Himmel gnädig sein!« (Schmidt 359) Nach der Beobachtung Schmidts wirkte der anwesende Joseph Goebbels wie ein »begossener Pudel«. Die Hoffnung der deutschen Führung Großbritanien würde nicht in den Krieg eintreten (Kershaw 314), war Wunschdenken geschuldet gewesen - man hatte sich von Anfang an verkalkuliert. So war es nicht weiter erstaunlich, daß Hitler sich, wenn man Paul Schmidts Buch glauben kann, als er das britische Ultimatum am Morgen des 3. September empfing, ärgerlich an Ribbentrop wandte und fragte: »Was nun?« (Kershaw 314)

Literatur

Bahnsen, Uwe (1999): Wie für die Hamburger der Zweite Weltkrieg begann, in: Welt-Online vom 1.9.1999 (abgerufen am 1.9.2015).

Kershaw, Ian (2000): Hitler 1936-1945, Stuttgart.

Schmidt, Rainer F. (2002): Die Aussenpolitik des Dritten Reiches 1933-1939, Stuttgart.