In guten wie in schlechten Zeiten - Eine Liebesgeschichte in Preußen

Tagebuchseiten von Marie von Gersdorff

Tagebuchseiten von Marie von Gersdorff

Ein im Berliner »Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz« vorgestelltes Tagebuch offenbart das Schicksal einer unverheirateten Adeligen kurz vor dem Ende der Monarchie und erzählt eine anrührende und dramatische Liebesgeschichte geprägt durch die gesellschaftlichen Umstände der damaligen Zeit.

Marie von Gersdorff begann 1880, 22-jährig, das Tagebuch zu schreiben. Sie führte das typische Leben einer jungen ledigen preußischen Adeligen mit knappen finanziellen Mitteln. 1881 zog sie zu ihrer Schwester Gertrud nach Kiel, um dort die 9-jährige Tochter Gertruds und ihres Mannes Georg von Nostlitz, eines Kapitäns zur See bei der kaiserlichen Marine, zu unterrichten.

Unterleutnant zur See Otto Braun kennen und verlobte sich 1882 mit ihm. In ihr Tagebuch schrieb sie: »Unter absonderlicheren Verhältnissen ist wohl selten eine Verlobung zu Stande gekommen. - Heute früh waren wir in der Kirche, dann beim Croquetspiel; darauf spielten wir nachmittags in Hobeins Boot, ­Heeringen, Martha Scheven, Otto und ich; wir stiegen in Gründen aus, wo wir die ersten Küsse tauschten und warme Liebensworte wechselten.« Den Efeuzweig, den ihr Braun am Verlobungstag pflückte, klebte sie sorgfältig in ihr Tagebuch ein. An eine baldige Heirat war jedoch nicht zu denken, da beiden die finanziellen Mittel für einen eigenen Hausstand fehlten.

Bereits kurze Zeit darauf mussten sich die Verlobten für 2 Jahre trennen. Braun ging mit der Kaiserlichen Marine auf Weltreise. Nach seiner Wiederkehr Ende 1884 verbrachten sie 6 glückliche Wochen bei seinen und bei ihren Eltern. Danach gab Braun die Verlobung öffentlich bekannt. Doch das Schicksal der Verlobten wendete sich, als der Vater von Marie schwer erkrankte und 1885 den Dienst im Kaiserlichen Heer quittieren musste. Marie schrieb bekümmert in ihr Tagebuch: »Der Zeitpunkt der Vereinigung ist jetzt weiter den je hinausgerückt, da wir uns auf das äußerste Einschränken müssen«. Bereits im November starb Maries Vater. Bei der Beerdigung sahen sich Braun und Marie zum letzten Mal.

Anfang 1886 löste Braun die aussichtslose Verlobung. Offensichtlich hatte ihm der Chef der kaiserlichen Admiralität, von Caprivi, den Heiratskonsens verweigert, da das nötige Geld fehlte, um einen für einen preußischen Offizier standesgemäßen Haushalt zu gründen. »So ist dann in kürzester Zeit unser Glück zerstört worden, da uns niemand helfen wollte«, verzeichnet das Tagebuch.

1889 erfuhr Marie, dass sich Braun mit einer ihr bekannten, vermögenden Bürgerlichen verheiratet hatte. Einige Jahre später musste Marie in der Zeitung die erschütternde Nachricht lesen, dass das unter dem Kommando Brauns stehende Kanonenboot »Iltis« an der chinesischen Küste gesunken war, wobei auch Braun den Tod gefunden hatte. »Ich bin tief ergriffen und  sehr bewegt und traurig; denke an das, was er mir gewesen.« Im folgenden Jahr wurde auf dem Meeresgrund ein Ring, den Braun getragen hatte, gefunden. Marie erkannte in ihm den Freundschaftsring, den er hatte für sie beide anfertigen lassen und den auch sie noch immer trug. Auf diese Weise hatten sich die vom Schicksal getrennten die Treue gehalten.