Rezension: Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias

Cover: Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias

Cover: Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias

Ein Großteil derer, die den Nationalsozialismus selber erlebt hatten, waren sich sicher: Adolf Hitler hatte Charisma. Mit seiner »Ausstrahlung auf Menschen« zog der »Führer« die Massen «in seinen Bann«. So will es die erstaunlich langlebige Legende. Mit ihr räumt der Berliner Historiker Ludolf Herbst, einer der besten Kenner des Nationalsozialismus, in seinem bereits 2010 erschienen Buch »Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias« gründlich auf.

In seinem 330 Seiten umfassenden Werk schreibt der emeritierte Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, der bereits Standardwerke zum Thema Nationalsozialismus verfasst hat, gleich zu Beginn in aller Deutlichkeit: »Es ist die zentrale These dieses Buches, daß Hitler gemeinsam mit einem kleinen Kreis von Gefolgsleuten die Legende des charismatischen Führers erfand, um die messianischen Erwartungen der Menschen im Deutschland der krisengeschüttelten Zwischenkriegszeit für die NSDAP nutzbar zu machen. Die Legende des charismatischen ›Führers‹ war daher ein Coup, der als Mythos des Anfangs in die Propaganda des sogenannten Dritten Reiches paßte, in Hitlers Reden immer wieder aufgegriffen und auf diese Weise popularisiert wurde« (Herbst 14).

Um diese These zu beweisen unternimmt Herbst zunächst einen, für Leser, die selbst keine Historiker sind, sicher etwas ermüdenden Ausflug in die Herrschaftssoziologie von Max Weber und stellt dessen drei Arten legitimer Herrschaft vor: die legale, rational-bürokratische, die traditionale und die charismatische. Danach widmet er sich der Vorstellung der bisherigen Versuche einer Analyse des Nationalsozialismus mit Hilfe der Weberschen Herrschaftssoziologie. Warum es dieses ausführlichen Rückgriffs auf die Herrschaftstheorie Max Webers bedarf, erschließt sich nicht. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass Webers an vormodernen Verhältnissen entwickelte Herrschaftssoziologie gerade nicht greift, wenn man die Erfindung des Hitlerschen Charismas verstehen will.

Wirklich spannend und gewinnbringend wird das Buch in seinem zweiten Teil mit dem Titel »Hitlers Charisma«. Hier nimmt Herbst zunächst jenen Zeitraum in den Blick, der für ihn entscheidend ist bei der Beantwortung der Frage, ob Hitler wirklich Charisma besaß: Die Anfangsjahre des Politikers Hitler. Das Bild, das Herbst hier von Hitler zeichnet, ergibt, das Hitler zwar ein erfolgreicher Redner wurde - davon gab es allerdings damals viele -, die charismatischen Erwartungen der Zeit konnte er allerdings nur in sehr begrenzten Umfang auf sich ziehen.

Erst in der Festungshaft in Landsberg entwickelte Hitler in »Mein Kampf« die »Blaupause«, so Herbst, »für die Inszenierung des Nationalsozialismus als politische Religion« und damit der Konstruktion und Inszenierung von »Charisma als Werbestrategie«. Diese lief darauf hinaus, »den Führer der NSDAP in der Öffentlichkeit als Messias, die Partei als Glaubensgemeinschaft und ihr Programm als Glaubensbekenntnis darzustellen«. (Herbst 196)

Dieses Inszenierungskonzept durchlief nach Herbst drei Phasen. Zunächst wurden die Rituale der politischen Glaubensgemeinschaft entwickelt und eingeübt. Die Anhängerschaft der NSDAP, die zwischen 1925 und 1928 mit einem Stimmenanteil von unter 3% den Charakter einer politischen Sekte hatte, wurden auf den »blinden und fanatischen Glauben« an Hitler eingeschworen. (Herbst 197)
Die Zweiten Phase, die mit der Staats- und Wirtschaftskrise der Weimarer Republik einsetze, stand im Zeichen der Mobilisierung größerer Wählerschichten durch Massenversammlungen.
Die Dritte Phase begann mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und stand im Zeichen der reichsweiten Etablierung des Personenkultes um Hitler. Durch den nun erfolgten Zugriff auf die staatlichen Medien und den Film erreichte die »Inszenierung erstmals das Volk und konnte der charismatische Führer als Kultfigur einer politische Religion in immer neuen Bildern präsent gemacht« werden. (Herbst 200)

Wie wenig naturgegeben dieses Charisma war und wie »unsicher sich Hitler seines eigenen Charismas« anfänglich auch noch im Amt des Reichskanzlers war, zeigt Herbst in den abschließenden Partien seines Buches. Die Art und Weise, wie Hitler nach dem Tod Paul von Hindenburgs am 2. August 1934 das »Charisma des Reichspräsidentenamtes und seines Inhabers« auf sich übertragen ließ, lässt nämlich nach Herbsts Interpretation nur den Schluss zu, dass Hitler nicht den Mut hatte, sich zum Nachfolger Hindenburgs wählen zu lassen. (Herbst 277) Daher ließ er das Amt erlöschen und sich per Gesetz die bisherigen Befugnisse des Reichspräsidenten übertragen.

Hitler hatte seine Gründe, so zu verfahren, denn Hindenburg, den er damit beerbte, »besaß, was Hitler nicht besaß, den Ruhm des erfolgreichen Feldherrn, eine traditional geprägte Herkunft, Besitz und Würde des Alters, kurz: Er war eine gestandene, in mancher Hinsicht sogar charismatische Persönlichkeit«. Über all das verfügte Hitler nicht - wegen seiner Herkunft und seiner von Rückschlägen und Misserfolgen geprägten frühen Jahre, aber auch weil er eine »blasse Figur« war, der selbst viele Nationalsozialisten das Amt nicht zutrauten, als Hitler in der Reichspräsidentenwahl des Frühjahrs 1932 gegen den Amtsinhaber Hindenburg antrat. (Herbst 277)

Letztlich war es also nicht Hitlers persönliches Charisma, welches den Erfolg Hitlers erklärt, sondern die »Ritualisierung seiner Auftritte«, die Hitler »vor der Alltäglichkeit seiner Person und damit vor der Auflösung seines Führungsanspruchs« schützte. (Herbst 290) Ihre Langzeitwirkung zeigt, wie erfolgreich diese ›Erfindung‹ gewesen ist.

»Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias« von Ludolf Herbst ist im S. Fischer Verlag erschienen (330 Seiten)