Der Einfluss zweier Engländer auf den Berliner Klassizismus
Parthenon 438 v. Chr. in "Antiquities of Athens (Universitätsbibliothek Heidelberg / Lizenz: CC BY-SA 3.0)
Lange Zeit sprach die griechische Architektur nur durch die römische. Die unmittelbare Kenntnis über die griechischen Bauten der klassischen Zeit war im abendländischen Europa verschüttet. Die griechische Baukunst war aus der direkten Anschauung seit Jahrhunderten nicht mehr erfahren worden, was die Annahme zeitigte, dass die überlieferte römische antike Architektur im wesentlichen der griechischen gleiche.
Mitte des 18. Jahrhunderts begann sich durch die Entdeckung der griechischen Tempel in Italien (Paestum und Agrigent) und die Forschungen von Johann Joachim Winckelmann das Bild von der griechischem Architektur gegenüber der römischen deutlich abzuheben. Vom Kunstzentrum Rom aus verbreitete sich die Begeisterung für die Antike über ganz Europa, und von hier aus machten sich auch die englischen Architekten und Maler James Stuart und Nicolas Revett 1751 auf den abenteuerlichen Weg nach Griechenland in eine damals fremde und orientalisch beherrschte Welt.
Propyläen 432 v. Chr. in Antiquities of Athens (Universitätsbibliothek Heidelberg / Lizenz: CC BY-SA 3.0)
Mehr als drei Jahre blieben sie im Land der Hellenen und stellten unter erheblichen Mühen und gegen viele Widerstände die ersten genauen Aufmaße von Bauten der klassischen Zeit (500–336/323 v. Chr.) her. Finanziell ermöglicht wurde diese Kunstexpedition von der Londoner »Society of Dilettanti«. Dieser Club vermögender und antikenbegeisterte Engländer übernahm auch die Herausgabe der Ergebnisse der Reise. Die zweibändige Ausgabe der »Antiquities of Athens« mit meisterhaften und detailgetreuen Darstellungen unter anderem der Propyläen (432 v. Chr.) und des Erechtheions (406 v. Chr.) der Akropolis von Athen wurde die bedeutendste und folgenreichste Veröffentlichung klassisch-griechischer Architektur und im Europa am Vorabend der französischen Revolution begeistert aufgenommen.
In Deutschland setzte zuerst in Dessau am Hof des Fürsten Leopold Friedrich Franz, dann aber auch in Berlin eine intensive Auseinandersetzung mit der griechischen Baukunst ein. Mit Langhans, Erdmannsdorff, Vater und Sohn Gilly und Schinkel wurde Berlin bald zu einem Zentrum des Klassizismus.
Erechtheion 406 v. Chr. in Antiquities of Athens (Universitätsbibliothek Heidelberg / Lizenz: CC BY-SA 3.0)
Dabei war der preußische Klassizismus wie kein anderer explizit am griechischen Ideal orientiert ganz im Gegensatz zum französischen, römisch beeinflussten. Napoleons Ziel war die französische Vorherrschaft in Europa und zwar nach dem Vorbild des römischen Kaisertums, was sich sinnbildlich in der französischen Klassizismusauffassung widerspiegelt. Für Preußen hätte die Annahme einer von der römischen Antike beeinflussten Kunst bedeutet, die Kunst des französischen Besatzers zu übernehmen. Umgekehrt galt nach der Niederwerfung Napoleons und mit dem Beginn des griechischen Freiheitskampfes gegen die Türken die griechische Antike als Ideal der Freiheit. Bereits 1788 hatte James Stuart im Vorwort zum 2. Band der "Antiquities of Athen" geschrieben, die in diesem Band enthaltenen Bauten seien errichtet worden, »while the Athenians were a free people«.
Im deutschen Idealismus beschränkte sich die Begegnung mit der Antike auf den Bereich geistiger Leistung. Im griechischen Vorbild sah man das Ideal reinen Menschentums und sittlicher Freiheit. So konnte unter Friedrich Wilhelm III. mit einem von staatlicher Seite unterstützten Klassizismus griechischer Prägung das Ideal der Freiheit verkündet werden, während gesellschaftliche Reformen verweigert wurden. Die wichtigsten noch vorhandenen Bauwerke dieses Graecia-Klassizismus in Berlin sind das Königliche Schauspielhaus (1821) von Schinkel, sowie das Brandenburger Tor (1791) von Langhans. Beide Bauten sind teilweise detailliert durch die »Antiquities of Athens« beeinflußt. So sind unter anderem die ionischen Kapitelle des Portikus des Schauspielhauses Nachbildungen der des Erechtheions, die Schinkel aus einem Stich aus dem Werk von Stuart und Revett kannte. Die Fassadenstruktur geht laut Schinkel auf das in den »Antiquities of Athens« abgebildete Thrasyllos Monument von Athen (320 v. Chr.) zurück. Langhans wählte als Vorgabe für das Brandenburger Tor die Propyläen, die ihm ebenfalls erst kurz bevor er den Entwurf anfertigte durch die Veröffentlichung des Stichwerkes bekannt wurde. Des Weiteren ist das Brandenburger Tor durch die hier wiedergegebenen Abbilungen des Parthenon von Athen (438 v. Chr.) und seiner Metopenreliefs inspiriert.
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