Das Holländische Viertel - Gebaute Verbundenheit
Haus im holländischen Viertel Potsdam (© Florian Müller-Klug)
"Unserm hochseligen [König Friedrich Wilhelm I.] war zur Gnüge bekannt, daß Holland ein rechter Sammelplatz der besten Manufacturen zu nennen sey; er wuste aber auch zugleich, wie ungern solche Künstler ihr Vaterland zu verlassen, und sich an fremde Örter zu begeben pflegen. Se. Maj. suchten demnach dieses Hinderniß Ihrer weisen Absichten dadurch aus dem Weg zu räumen, daß Sie Befehl ertheilten, man sollte in Potsdam gantz neue Holländische Wohnungen erbauen, selbige in 4 Quartiere unterscheiden, und zu jedem Quartier 62 Häuser rechnen."
(Potsdammische Quintessence...: Nr. 8 vom 28. Januar 1741)
Ankunft der Holländer
1732 kamen die ersten holländischen Handwerker und ihre Familien in Potsdam an. Es waren der Tischler Anton De Ridder, die Zimmermeister Adrian Den Ouden und Jan Boumann, der Tischler- und Zimmermeister Derik Boumann und der Maurermeister Kaethel Hubrecht. König Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), der Soldatenkönig, war zuvor eigens nach Holland gereist, um sich persönlich der Anwerbung der holländischen Fachkräfte anzunehmen. Da alle zur Errichtung eines Hauses im holländischen Stil notwendigen Gewerke in der Gruppe der Ankömmlinge vertreten waren, konnte zügig mit dem Bau der ersten Häuser begonnen werden. Jan Boumann wurde mit der Leitung bei der Errichtung des neuen Stadtviertels betraut. Seine Reisegefährten bezogen nach der Fertigstellung des ersten Quarrees dort ihre Häuser, während Boumann nach seiner Ernennung zum Königlichen Kastellan eine Wohnung im Stadtschloss von Potsdam bewohnte. (Enderlein 20-22)
Holland und das Haus der Hohenzollern
Die Stellung des königlichen Kastellans wurde traditionell im Hause der brandenburg-preußischen Hohenzollern an Holländer vergeben. Dies war Ausdruck einer lange währenden engen Verbundenheit mit dem Land an der Nordseeküste. Der holländische Einfluss hatte einen ersten Höhepunkt unter der Regierung des Großvaters Friedrich Wilhelm I., dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620-1688), erreicht. Der Kurfürst hatte wegen des in Brandenburg wütenden Dreißigjährigen Krieg einen Teil seiner Jugend am Hof des Statthalters der Vereinigten Niederlande Friedrich Heinrich von Oranien, dem Onkel seiner Mutter Elisabeth Charlotte, verbracht. Die während des insgesamt vier Jahre währenden Aufenthaltes gewonnenen Erfahrungen übten einen sehr großen Einfluss auf Friedrich Wilhelm aus. In den Niederlanden fand er ein hochentwickeltes Staatswesen vor, das in vielem für ihn zum Vorbild für sein durch den Krieg verheertes und verarmtes Kurfürstentum wurde. 1648 heiratete Friedrich Wilhelm Luise Henriette von Nassau-Oranien, die Tochter des Statthalters. Aufgrund dieser Heirat trägt das Oberhaupt des brandenburg-preußischen Hauses der Hohenzollern bis heute den Titel eines »Prinzen von Oranien«. Vermutlich seiner Frau zuliebe ließ der Kurfürst in Potsdam, seiner zweiten Residenz, durch den holländischen Baumeister Chieze ein Stadtschloss nach holländischen Vorbildern, wie etwa dem Schloss Honselaarsdijk, erbauen. (Abb. 1).
König Friedrich Wilhelm I. (der Soldatenkönig) knüpfte mit dem Holländischen Viertel und seiner Vorliebe für alles Holländische an die holländische Tradition seines Großvaters an. Auch der König hatte bereits in jungen Jahren Holland während einer Bildungsreise kennengelernt. Und seinem Großvater gleich blieb das holländische Vorbild bis zu seinem Tode ein wichtiger Maßstab seiner Vorstellungen eines wirtschaftlich fortschrittlichen Staates und einer zweckmäßigen Architektur. Alle Kirchen, die Friedrich Wilhelm I. in Potsdam bauen ließ, weisen holländische Einflüsse auf, allerdings ohne sich an bestimmte Vorbilder anzulehnen. Auch der einzige Schlossbau, den der sparsame König während seines Regnum errichten ließ, war ein schlichtes Landhaus im Stil holländischer Bürgerhäuser, das Jagdschloss Stern (Abb 2).
Von namentlich nicht bekannten holländischen Ingenieuren ließ Friedrich Wilhelm I. für die Entwässerung des Baulandes auf dem die "erste barocke Stadterweiterung" (1720-22) und die "zweite barocke Stadterweiterung" (1732-1742) (Abb. 3) Potsdams ins Werk gesetzt werden sollten den Potsdamer Stadtkanal ab 1722 nach dem Vorbild holländischer Grachten errichten. Der neue Stadtkanal diente, gleich den Grachten, neben der Entwässerung auch als Wasserstraße. Zunächst insbesondere für die Einschiffung der für die umfangreichen Bautätigkeiten zur Errichtung der neuen Stadtteile benötigten Baumaterialien.
Das holländische Bassin
Der Bau der vier Quarrees des Holländischen Viertels (1737-1742) war Teil der barocken Stadterweiterungen und bildete deren Abschluss. Der Anlage des Viertels gingen weitere umfangreiche Trockenlegungen voraus. So berichtet der Oberbaurat Johann Ludwig Manger in seiner Baugeschichte von Potsdam aus dem Jahr 1789: "Es ward allhier bei dem Orte, wo ein tiefer Sumpf ... befindlich war, ein großer Teich ausgestochen, in dessen Mitte eine Insel blieb, welcher nachher den Namen des holländischen Bassins bekam ... Die Insel ward mit einem Lusthäuschen (ebenfalls in holländischem Geschmacke) verzieret." (Manger 19)
Künstler ziehen in das Holländische Viertel
Friedrich Wilhelm I. erlebte die Fertigstellung des Holländischen Viertels nicht mehr. Als er 1740 starb waren erst zwei der vier Quarrees errichtet. Die beiden weiteren wurden von seinem Sohn und Nachfolger König Friedrich II. (der Große) weitestgehend im Sinne der bestehenden Planungen vollendet. Ansonsten wurden die oft schmucklosen in kürzester Zeit mit sparsamsten Mitteln hochgezogenen Bauten aus der Regierungszeit des Vaters vom neuen Regenten umgebaut oder durch Neubauten ersetzt. 600 neue Gebäude mit hohem künstlerischen Anspruch entstanden durch die Bautätigkeit Friedrichs in Potsdam. Dies zog viele Künstler in die Stadt, von denen eine Vielzahl auch im Holländischen Viertel ein Haus bekam. Die hohe Erwartungshaltung die der Soldatenkönig in Bezug auf einen Zuzug holländischer Fachkräfte an das holländische Viertel geknüpft hatte war nämlich nur zu einem geringen Teil erfüllt worden. Nach der Fertigstellung aller 134 Gebäude befanden sich lediglich 13 im Besitz von Holländern. Die übrigen bewohnten neben den Künstlern einige Franzosen und einheimische Handwerker oder sie wurden zunächst, damit sie nicht leerstehen, an Soldaten vergeben.
Traufenhaus Mittelstraße 43 und Haus Vreedenhoff
Im Holländischen Viertel finden sich Giebelhäuser und Traufenhäuser. Bei den Traufenhäusern kann unterschieden werden zwischen a) Traufenhäusern, die in Reihe gebaut sind und b) alleinstehenden Traufenhäusern, die sich jeweils an den Enden und im Mittelpunkt der mit Giebelhäusern bebauten Quarreeseiten befinden. Die alleinstehenden Traufenhäuser, so beispielsweise das Traufenhaus Mittelstraße 42 (Abb. 4), sind am eindeutigsten holländisch beeinflusst. Vorbild ist ein Haustyp, wie er in Holland z.B. durch das Haus Vreedenhoff in Loenen a. d. Vecht bei Amsterdam repräsentiert wird (Abb. 5).
Die Fassaden der beiden Häuser ähneln sich verblüffend. Sowohl bei dem alleinstehenden Traufenhaus im Holländischen Viertel, als auch beim Haus Vreedenhoff handelt es sich um ein zweigeschossiges Gebäude mit fünf Achsen und dem Eingang in der Mitte. Die Eingänge sind mit den für Holland typischen hölzernen barocken Portaldekorationen verkleidet, die mit ihren oberen Ausläufern bis an das Dachgesims stoßen. Die Dachgesimse sind ebenfalls aus Holz und weiß gestrichen. Akzentuiert wird das Gesims des Haus Vreedenhoff durch reich geschnitzte Konsolen, wie sie ebenfalls noch an wenigen Traufenhäusern im holländischen Viertel erhalten sind, so etwa am alleinstehenden Traufenhaus Benkertstraße 19 (Abb. 6). Die Fassaden werden gegliedert durch schwach vorspringende Ecklisenen. Beim Haus Vreedenhoff wird die Mittelachse durch einen Mittelrisalliten betont, beim Potsdamer Traufenhaus durch zwei die Mittelachse flankierende Lisenen.
Giebelhaus Mittelstraße 42
Die Giebelhäuser im Holländischen Viertel (Abb. 7) wurden ursprünglich als "halbe Häuser" bezeichnet. Sie sind wie die Traufenhäuser 2-geschossig, aber dreiachsig angelegt mit einem Eingang und zwei Fensterachsen und haben ungefähr die halbe Wohnfläche der fünfachsigen Traufenhäuser. Die kleineren und schlichter gestalteten Giebelhäuser wurden vornehmlich von einfachen Handwerkern, Soldaten und anderen sozial niedriger gestellten Personen bewohnt.
An dem Giebelhaus in der Mittelstraße 42 lassen sich weitere auf holländische Handwerkstradition zurückgehende Elemente finden. So die weiß gestrichenen, quadratisch verglasten Fenster mit den nur in Holland vorzufindenden breiten weißen Holzzargen und den grünen halben Fensterläden, den sogenannten Windläden. Ein Charakteristikum holländischer Hauseingänge ist es, dass das mit kleinteiliger quadratischer Verglasung versehene Oberlicht mit der Außenseite der auch hier obligatorischen hölzernen Zarge bündig liegt, während das Türblatt auf der Innenseite der Zarge angeschlagen ist.
Vergleich mit dem Straßenbild Hollands im 18. Jhdt.
Im holländischen Viertel hat es an den Giebelhäusern ursprünglich wohl nur zwei unterschiedliche Giebelformen gegeben. Eine ähnliche Konformität findet sich im Straßenbild Hollands im 18. Jahrhundert allerdings nicht. Wer im fortschrittlichen Holland baute, tat dies nach seinem persönlichen Geschmack und Vermögen. So entstand ein höchst differenziertes und individualisiertes Straßenbild mit zum Teil aufs prächtigste verzierten Giebeln, die den Wohlstand des Hausbesitzers dokumentieren sollten. Demgegenüber spiegelt die Gleichförmigkeit der Fassaden im Holländischen Viertel eher den Wunsch nach einer zweckmäßigen und vor allem sparsamen Bauweise und wohl auch den persönlichen Geschmack des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. wieder. Manger weiß in seiner Baugeschichte von Potsdam zu berichten: "Das Auge des Königs war durch seine beständige Beschäftigung mit seinem Garderegiment ... dermaßen verwöhnt, dass ihm auch die neu angelegten Straßen nicht anders gefielen, als wenn deren Häuser eine in Reihe stehende Anzahl Soldaten vorstellten." (Manger 14)
Was in Holland über lange Zeit entstanden und Ausdruck einer individuellen Lebensführung war, wurde in Potsdam gewissermaßen preußisch nachexerziert. So ähneln die Giebelhäuser im Holländischen Viertel eher holländischen Lagerhäusern (Packhuisen) oder insbesondere den Hofjes, also den Altenheimen. Die Hofjes wurden von den Gemeinden oder wohlhabenden Stiftungen als Reihenhäuser geplant, deren Einheitlichkeit und Regelmäßigkeit wohl auch dem Soldatenkönig als nachahmenswertes Vorbild gedient haben mag. "Dennoch" , so urteilt der Denkmalpfleger und Architekturhistoriker Friedrich Mielke, "ist das Holländische Viertel mehr als eine unvollkommene Nachahmung. Es ist der gebaute Ausdruck für die engen geistigen Beziehungen zwischen Holland und Brandenburg. Die persönliche Verbundenheit der beiden Herrscherhäuser mag eine wichtige vermittelnde Rolle gespielt haben, entscheidender jedoch war das höhere wirtschaftliche, technische und kulturelle Niveau der Niederlande, von dem Brandenburg sehr vieles profitieren konnte und profitieren wollte." (Mielke 61)
>Literatur
Enderlein, Lorenz (2002): Das Holländische Viertel, Berlin.
Manger, Heinrich Ludwig (1789): Baugeschichte von Potsdam (Bd. 1), Berlin.
Mielke, Friedrich (1960): Das Holländische Viertel in Potsdam, Berlin.
Volk, Waltraud (1993): Historische Straßen und Plätze heute. Potsdam, Berlin.