Die Sphingen von Sanssouci - Eine skulpturale Fortsetzungsgeschichte

Sphingen im Park Sanssouci

Sphingen im Park Sanssouci, Georg Franz Ebenhech, 1755 (© Bundesarchiv , Bild 170-789 / Baur, Max / CC-BY-SA-3.0)

Zwei Sphingen mit Putten aus Marmor von Georg Franz Ebenhech bewachen seit 1755 den südlichen Zugang zum Gartenparterre. (Hüneke 112) Die Kombination von Sphinx und Putto war im Barock sehr beliebt. Vorbild war sicherlich die Sphinx mit Bronzeputto von Louis Lerambert im Park von Versailles von 1670. (Loth 64) Neuartig bei den zwei Sphingengruppen von Potsdam ist deren erzählerischer Charakter. Sie bilden gewissermassen eine Fortsetzungsgeschichte. (Butlar/Köhler 18)


Potsdam - Sanssouci, Sphinx im Park Sanssouci

Sphinx (links), Georg Franz Ebenhech, 1755 (© Bundesarchiv , Bild 170-770 / Baur, Max / CC-BY-SA-3.0)

Die linke der beiden Sphingen wendet sich mit freundlichem Blick einer der beiden Knaben zu und legt ihre scharfkrallige große Tatze behutsam über dessen Wade. Dieser schaut glücklich lächelnd, das Gesicht mit einem Schleier verhüllt, während der andere Putto versonnen mit dem Schwanz der Sphinx spielt: eine friedliche Szenerie. Der Schleier über dem Kopf des Kindes, kann für die Unschuld des Kindes stehen, das noch nicht die Grausamkeiten der Welt erblicken musste. Allerdings steht die Gruppe der glücklichen Unbewusstheit für einen unvollkommenen Zustand. Der Federbusch auf dem Haupt der Sphinx, der sie als Wesen von überirdischer Weisheit kennzeichnet, hat sich noch nicht entfaltet. (Butlar/Köhler 18)


Potsdam - Sanssouci, Sphinx im Park Sanssouci

Sphinx (rechts), Georg Franz Ebenhech, 1755 (© Bundesarchiv , Bild 170-776 / Baur, Max / CC-BY-SA-3.0)

Die rechte Potsdamer Sphingengruppe zeigt gleichsam als Fortsetzung der linken das Erschrecken des Kindes, dessen Schleier auf den Sockel gefallen ist und das schmerzverzerrt die Augen weit aufreißt und aufzuschreien scheint. In einer Unheil abwehrenden Geste ballte es die vorgestreckte Hand zur Faust. Die Sphinx zeigt harte Entschlossenheit und reißt mit einem Griff ins Haar den Kopf des Knaben hoch, um ihm zum Schauen zu zwingen. Der zweite Knabe scheint hilflos zu versuchen, sie daran zu hindern. Die friedfertige Szenerie der linken Gruppe hat sich in eine voller Angst und Schrecken verwandelt. Der Federbusch der Sphinx hat hat sich aber nun geöffnet. Erst durch den schmerzhaften Blick in die Welt wird der Weg zur Erkenntnis frei. (Butlar/Köhler 19)

Diese Geschichte kann durchaus autobiographisch gedeutet werden. Friedrich zeigt hier seine anfänglich noch unbeschwerte Kindheit an der Seite seiner Mutter, die durch den Konflikt mit dem Vater zunehmend vom Unglück beherrscht wurde. Sicher nicht zufällig erinnert das gewaltsame hochreißen des Kopfes des Knaben an den Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn: die Hinrichtung von Friedrichs geliebten Freund und Fluchthelfer Katte, die vor dem Fenster von Friedrichs Gefängniszelle in Küstrin vollzogen wurde. Friedrich sollte auf Befehl des Königs alles mit ansehen. (Kunisch 40) »Sie hielten mir tatsächlich den Kopf, damit ich sähe, was vorging. Gütiger Gott, welch furchtbares Schauspiel!« (Butlar/Köhler 19)

Den Hintergrund zum Verständnis dieser Allegorie bildet also der dramatische Konflikt mit dem verhassten Vater. Friedrich gab nach der Hinrichtung seines Freundes zumindest vordergründig nach, um seine Freiheit wiederzuerlangen und seinen Anspruch auf die Krone zu sichern. In Rheinsberg bereitete er sich daraufhin auf seine Regentschaft vor und heiratete die vom Vater ausgewählte Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern. Dort begann auch Friedrichs heimliche Hinwendung zur dem Vater suspekten Freimaurerei. Friedrich war schon am 14. August 1738 als einer der ersten Fürsten Europas auf eigenen Wunsch in den noch jungen, 1717 in London begründeten Geheimbund der Freimaurer aufgenommen worden. Interessanterweise lässt sich die geballte Faust des Knaben in der rechten Sphingengruppe nach einem berühmten Werk über Handzeichen von 1644 als Geste des Widerstandes lesen: regarduo = ich widerlege, ich strafe lügen. (Butlar/Köhler 20-21)


regarduo

»Regarduo« (Bulwer 200)

Literatur

Bulwer, John (1644): Chirolgia. Or The Natural Language of the Hand, London.

Buttlar von, Adrian / Köhler, Marcus (2012): Tod, Glück und Ruhm in Sanssouci. Ein Führer durch die Gartenwelt Friedrichs des Großen, Hamburg.

Hüneke, Saskia (2002): Bauten und Bildwerke im Park Sanssouci, Potsdam.

Kunisch, Johannes (2004): Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München.

Loth, Marc (2012): Pharaonen an der Spree: Ägyptisierende Architektur und Skulptur in Berlin, Bd. 1, Norderstedt.