Die »Balkonreden« Wilhelm II. - Zum Ausbruch des Ersten Weltkrieg

Wilhelm II. hält eine Balkonrede auf dem Balkon von Portal V am 1. August 1914

Wilhelm II. auf dem Balkon von Portal V am 1. August 1914

Aus Anlass des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs vor fast genau 100 Jahren wendete sich der Deutsche Kaiser Wilhelm II. zweimal vom Balkon des Berliner Stadtschlosses aus an eine davor versammelte Menschenmenge. Er liefert mit den sogenannten »Balkonreden« ein zeitloses Beispiel politischer Propaganda in Kriegszeiten.

Am 30. Juli 1914 war abends die russische Generalmobilmachung verkündet worden, tags darauf ergingen deutsche Ultimaten an den Zaren, dies rückgängig zu machen, und an Paris, sich neutral zu verhalten. Am selben Tag trat Wilhelm II. zum ersten Mal anlässlich der aktuellen Krise hinaus auf den Balkon über dem Portal V des Berliner Stadtschlosses und wandte sich an die im Lustgarten versammelten Berliner – eine erste Einstimmung auf den kaum noch abzuwendenden Krieg: »Eine schwere Stunde ist heute über Deutschland hereingebrochen. Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung. Man drückt uns das Schwert in die Hand. […] Den Gegnern aber würden wir zeigen, was es heißt, Deutschland zu reizen.« (Wilhelm II.)

Nicht nur vor dem Schloss konnte man an diesem Tag in Berlin von den düsteren Wolken hören, die sich über Europa zusammenzogen. Vor dem Zeughaus Unter den Linden, nicht weit vom Standbild Friedrichs II., verlas ein Leutnant eine Proklamation über den »Zustand drohender Kriegsgefahr«, umgeben von einer durch Soldaten auf Abstand gehaltenen Menschenmenge. Im Gegensatz zur immer noch vorherrschenden Meinung, gab es im August 1914 in Deutschland, wie auch in Berlin keine allgemeine Kriegsbegeisterung. Es gab vielmehr ein breites Spektrum ganz unterschiedlicher Reaktionen, die von einer Verweigerungshaltung über Ratlosigkeit und Erschütterung bis zu patriotischem Überschwang und Hysterie reichten. (www.dradio.de) Noch am 28. Juli hatte es ebenfalls vor dem Stadtschloss im Lustgarten eine große Antikriegsdemonstration gegeben. (Winkler 333)

Am 1. August war es dann so weit: Kriegserklärung des Deutschen Reichs an Russland, erneuter Auftritt Wilhelm II. auf dem Balkon: »Kommt es zum Kampf, so hören alle Parteien auf! [...] Ich kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder. Will unser Nachbar es nicht anders, gönnt er uns den Frieden nicht, so hoffe Ich zu Gott, dass unser gutes deutsches Schwert siegreich aus diesem schweren Kampfe hervorgeht.« (Wilhelm II.) Über die Straße Unter den Linden und andere zentrale Orte der Stadt flogen jetzt die Extrablätter der Zeitungen, »Zu den Waffen!« hatte etwa die Deutsche Tageszeitung fett auf ihre Titelseite gedruckt. (Conrad)

Die Unterstützung einer breiten Öffentlichkeit für den Krieg unter Einschluss der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung war freilich nur zu gewinnen, wenn es der deutschen Führung gelang, den Krieg propagandistisch als reinen Verteidigungskrieg darzustellen. Am Abend des 1. August notierte der Chef des Marinekabinetts, Admiral von Müller, in sein Tagebuch: »Die Morgenblätter bringen die Ansprache des Kaisers […] an das vor dem Schloss […] versammelte begeisterte Volk. Stimmung glänzend. Die Regierung hat eine glückliche Hand gehabt, uns als die Angegriffenen hinzustellen«. (Winkler 333)

Literatur

Conrad, Andreas (2014): 100 Jahre Erster Weltkrieg. So erlebte Berlin den Kriegsausbruch, in: Tagesspiegel-Online, URL: http://www.tagesspiegel.de/berlin/100-jahre-erster-weltkrieg-sonntagsspaziergang-durch-den-schuetzengraben/10286452-2.html (abgerufen am 11.8.2016).

Wilhelm II. (1914): Ansprache zum Ausbruch des I. Weltkrieges (Balkonreden). 31. Juli und 1. August 1914, in: 100(0) Schlüsseldokumente zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, URL: http://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0203_bal&object=translation&st=&l=de (abgerufen am 11.8.2016).

Winkler, Heinrich August (2001): Der lange Weg nach Westen. Band 1. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München.

www.dradio.de: August 1914: Kriegserklärung und »Augusterlebnis«, in: Feldpostbriefe - Lettres de poilus »... wer fällt, der stirbt den Heldentod«, URL: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/feldpost/begleitung/august14.html (abgerufen am 11.8.2016).