Tot am Schwedter Steg - Die Berliner Mauer

Klaus Jürgen Kluge / Foto: BStU, MfS, AS 754/70, Bd. 5, Nr. 1

Klaus Jürgen Kluge (© BStU, MfS, AS 754/70, Bd. 5, Nr. 1)

Vor fast genau 53 Jahren, am 13. August 1961, begann der Bau der Berliner Mauer. Anfangs eine von bewaffneten geschützte Stacheldraht-Barriere, wurde diese in den 18 Jahren ihres Bestehens zu einem nahezu unüberwindbaren Bollwerk ausgebaut. Unter den 138 Menschen, die an der Berliner Mauer getötet wurden, war auch Klaus-Jürgen Kluge, an dessen dramatische Flucht hier kurz erinnert werden soll.

Klaus-Jürgen Kluge, Modelltischler von Beruf, 21 Jahre alt, verließ am 13. November 1969 in den Nachmittagsstunden sein Elternhaus in Schönow bei Bernau unter dem Vorwand eine Tanzveranstaltung besuchen zu wollen. Die kürzlich erfolgte geglückte Flucht eines Bekannten hatte ihn ermutigt selber den »ungesetzlichen Grenzübertritt« zu wagen. Auslöser für diesen Entschluss war, so wird vermutet, die Einberufung Kluges zu dem ihm verhassten Wehrdienst in der NVA. Ob der junge Mann wußte, dass es nun für ihn um Leben oder Tot geht, kann nicht mehr nachvollzogen werden. (Baron)

Klaus-Jürgen Kluge fuhr mit der S-Bahn nach Ost-Berlin. Um 20.40 Uhr begab er sich im ehemaligen S-Bahn-Gleisdreieck südlich des Grenzübergangs und Geisterbahnhofs Bornholmer Straße ins Grenzgebiet. Hier hatte der Mauerbau eine neue S-Bahn-Trasse notwendig gemacht: die »Ulbricht-Kurve«. Die Trasse der Ringbahn war stillgelegt worden. Auf diesen toten Gleisen gehend gelang es Kluge zunächst unbemerkt die ersten Grenzanlagen zu überwinden, an der Stelle, wo heute die Ringbahn unter dem Schwedter Steg hindurch fährt. Als er den »Signalzaun« überkletterte, löste er - nun von ihm wiederum unbemerkt - »stillen Alarm« aus. (Baron) geschichten tatortskizze klaus juergen kluge detail gross

Tatortskizze Klaus-Jürgen Kluge 1969 (© BStU, MfS, AS 754/70, Bd. 5, Nr. 1, Bl. 6)

Die beiden im nächstliegenden Wachturm an der Helmut-Just-Brücke stationierten Grenzposten wurden darüber von der »Führungsstelle« telefonisch über das »Grenzmeldenetz« informiert. Ein junger Grenzsoldat, Wehrdienstleistender, verließ darauf hin bewusst langsam den Wachturm; er schreckte wohl davor zurück, auf einen Menschen schießen zu müssen und hoffte insgeheim, dass ein Tier den Alarm ausgelöst habe, wie es hier schon häufiger vorgekommen war. Unten angekommen schoss er eine Leuchtkugel ab, die ihn selber blendete. Der ebenfalls sehr junge Postenführer, der sich noch auf dem Turm befand, entdeckte den »Grenzverletzer«, als dieser bereits versuchte an der Mauer hochzuklettern. Da der untere Posten auf seine Anweisung, den Flüchtenden festzunehmen, nicht reagierte, stürmte er nun selbst vom Turm, rannte in Richtung Klaus-Jürgen Kluge und gab noch im Laufen befindlich aus ungefähr 60 Meter Entfernung ohne vorherigen Warnruf oder Warnschuss zwei gezielte Feuerstöße aus der Hüfte auf ihn ab, als er schon mit dem Oberkörper auf der Mauerkrone lag. Von zwei Kugeln in Brust und Fuß getroffen, stürzte Kluge ab. Innerhalb weniger Minuten erlag er seinen schweren Verletzungen. (Baron)

Die beiden Grenzsoldaten wurden am darauf folgenden Tag durch ihren Regimentskommandeur ausgezeichnet und prämiert. Im wiedervereinigten Deutschland wurde der Todesschütze 1997 vom Landgericht Berlin zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten zur Bewährung verurteilt; der ihm damals unterstellte Posten wurde freigesprochen.

Erst nachdem der eilig von »Tatort« entfernte Leichnam von Klaus-Jürgen Kluge eingeäschert worden war, wurden seine Eltern von der Staatssicherheit über den Tod ihres Sohnes unterrichtet. Die Stasi verpflichtete sie darauf, gegenüber Verwandten und Bekannten anzugeben, dass ihr Sohn in Berlin tödlich verunglückt sei. Unter Kontrolle der Staatssicherheit wurde die Urne am 8. Oktober 1969 auf dem Friedhof in Schönow beigesetzt. (Baron)

Literatur

Baron, Udo: Klaus-Jürgen Kluge, in: Chronik der Mauer, ULR: http://www.chronik-der-mauer.de/todesopfer/171363/kluge-klaus-juergen?n (abgerufen am 13. August 2015).