Die Verfolgung Martha Liebermanns durch die Nationalsozialisten - Eine Chronologie

Martha Liebermann

Martha Liebermann 1895 (Max Liebermann, Die Gattin des Künstlers am Strand, 1895, Klassik Stiftung Weimar)

Der Kommentar von Max Liebermann, als er am 30. Januar 1933 vom Dach seines Hauses am Pariser Platz den Fackelmarsch der Nationalsozialisten durch das Brandenburger Tor sah, ist sein wohl berühmtestes Zitat: »Ich kann gar nicht soviel fressen, wie ich kotzen möchte«. (Schmalhausen 41) Dieser Ausspruch markiert für Max Liebermann, insbesondere aber auch für seine Frau Martha Liebermann den Beginn eines Leidenswegs, den beide zu diesem Zeitpunkt sicher nicht vorausgesehen haben. Dieser soll hier in Form einer Chronologie wiedergegeben werden.

07. April 1933 Das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« wird erlassen. Es dient als Grundlage für die Gleichschaltung der Preußischen Akademie der Künste. (Schmalhausen 53)

07. Mai 1933 Max Liebermann erklärt öffentlich seinen Austritt aus der Akademie der Künste, deren Präsident er von 1920 bis 1932 und Ehrenpräsident ab 1932 war. Er kommt damit seinem bevorstehenden Rauswurf zuvor. (Wandrey 119)

09. Mai 1933 Ein großer Teil der Kunstsammlung der Liebermanns wird nach Zürich ausgelagert. (Schmalhausen 60)

08. Februar 1935 Max Liebermann stirbt in seinem Haus am Pariser Platz.

11. Februar 1935 Max Liebermann wird auf dem Jüdischen Friedhof Schönhauser Allee beigesetzt. Nur 38 Personen nehmen an der Trauerfeier teil. Die Akademie der Künste verweigert jegliche Ehrung ihres langjährigen Präsidenten und lehnt auch die Bitte um eine Kranzspende ab. (Schmalhausen 93)

Herbst 1935 Martha Liebermann verläßt das Haus am Pariser Platz und zieht in eine Wohnung in die Graf-Spee-Straße 23 im Tiergartenviertel. (Wandrey 120)

24. Februar 1938 Martha Liebermann überträgt ihr Haus am Pariser Platz notariell auf ihre Tochter Käthe, die es ihrem nichtjüdischen Ehemann Kurt Riezler schenkt. Damit soll das Haus vor der drohenden Enteignung geschützt werden. Der Schenkungsvertrag wird von den Nationalsozialisten nicht anerkannt. (Schmalhausen 124)

11. September 1938 Martha Liebermanns Neffe Heinrich Liebermann begeht Selbstmord. (Wandrey 120)

Mitte November 1938 Käthe Liebermann verläßt einige Tage nach den Novemberprogromen mit ihrer Tochter und ihrem Mann Deutschland und emigriert in die USA. Martha Liebermann will Berlin noch nicht verlassen, da hier das Grab ihres Mannes ist. (Schmalhausen 116)

12. November 1938 Die Verordnung zur »Sühneleistung für den Mord an Ernst vom Rath« wird erlassen, nachder die deutschen Juden für die Schäden, die durch die Novemberprogrome entstanden sind, 1 Milliarde Reichsmark aufbringen sollen. Martha Liebermann muß 665.000 RM zahlen. (Schmalhausen 116)

03. Dezember 1938 Martha Liebermann muß ihren gesamten Schmuck und Silber im Rahmen der »Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens« abgeben. (Wandrey 120)

06. Dezember 1938 Durch den sogenannten »Judenbann«, der es Juden verbietet bestimmte Berliner Plätze und Straßen zu betreten - darunter auch den Pariser Platz - ist es Martha Liebermann nicht mehr möglich, zu ihrem Haus am Pariser Platz zu gelangen. (Schmalhausen 118)

14. Dezember 1940 Martha Liebermann wird gezwungen, ihre Wannsee-Villa samt Inventar an die Deutsche Reichspost zu verkaufen. Als »Kaufpreis« werden 160.000 Reichsmark gezahlt, ein Betrag der dem Wert der Immobilie in keiner Weise entsprach. Allerdings konnte Martha Liebermann über das Geld nicht verfügen, da es auf ein sogenanntes »Sicherungskonto« überwiesen wurde. (Schmalhausen 120)

18. Oktober 1941 Martha Liebermann wendet sich in einem Brief an Emma Zorn, Witwe des schwedischen Malers Anders Zorn, mit der Bitte, ihr bei der Ausreise nach Schweden behilflich zu sein. (Lengefeld/Roeloffs-Haupt 85)

November 1941 Baron Edgar von Uexküll übernimmt die von den schwedischen Behörden geforderte Unterhaltsgarantie für Martha Liebermann. Gleichzeitig bitten Käthe und Kurt Riezler den in der Schweiz lebenden Freund der Familie Dr. Walter Feilchenfeldt, sich um ein Einreisevisum in die Schweiz für Martha Liebermann zu bemühen. (Wandrey 121)

05. November 1941 Martha Liebermann wird die Einreisegenehmigung nach Schweden erteilt. (Wandrey 121)

09. Dezember 1941 Das Ehepaar Feilchenfeldt hinterlegt einen Betrag von 5.000 Franken bei der Kantonalen Fremdenpolizei in St. Gallen, um auch in der Schweiz den Unterhalt für Martha Liebermann bei einer möglichen Einreise zu garantieren. (Wandrey 121)

11. Dezember 1941 Mit der Kriegserklärung des Deutschen Reiches an die USA kann Martha Liebermann keinen direkten brieflichen Kontakt mehr zu ihrer Tochter in den USA aufrechterhalten. (Wandrey 122)

15. Dezember 1941 Martha Liebermann wird von der Schweizerischen Gesandtschaft aufgefordert, ihr Visum abzuholen.

Anfang 1942 Das Reichswirtschaftsministerium eröffnet die »Devisensache Martha Liebermann« und fordert als »Reichsfluchtsteuer« für die Erteilung der Ausreisegenehmigung 50.000 Schweizer Franken. Martha Liebermann ist als Jüdin der Besitz ausländischer Währung ausdrücklich verboten. So richtet sich die Forderung an im Ausland lebende Freunde der Familie Liebermann, mit dem Ziel, im Krieg benötigte Devisen zu erpressen. Albrecht von Bernstorff übernimmt die Verhandlungen mit dem Reichswirtschaftsministerium für die hochbetagte Martha Liebermann. Der Schweizer Kunstsammler Oskar Reinhart ist bereit die Summe zur Verfügung zu stellen. Allerdings nur im Austausch gegen Martha Liebermann an der Grenze Zug um Zug und nicht als Vorauszahlung, wie es die Nationalsozialisten verlangen, denen Reinhart misstraut. (Schmalhausen 143)

02. Mai 1942 Martha Liebermann muß einen sogenannten »Heimeinkaufsvertrag« unterzeichnen und für den Platz im sogenannten »Altersheim Theresienstadt« 72.400 Reichsmark bezahlen. Marthas Wertpapierdepots werden dafür von den Finanzbehörden geplündert. Der Rest der Wertpapiere wird durch für Martha Liebermann wertlose Reichsschatzanweisungen ersetzt, über die sie als Jüdin nicht verfügen darf. (Wandrey 122)

September 1942 Kurt Riezler telegrafiert an Bernstorff, dass es ihm aufgrund der amerikanischen Kriegsvorschriften unmöglich sei, die Lösegeldsumme nach Europa zu überweisen. (Schmalhausen 151)

November 1942 Edgar von Uexküll schmuggelt zwei von Anders Zorn gemalte Portraits von Martha und Max Liebermann aus dem Besitz Martha Liebermanns nach Schweden, um sie dort zu beleihen. Sie bringen 12.000 Kronen (14.400 CHF) womit ein Teil der Lösegeldforderung beglichen wird. (Lengefeld/Roeloffs-Haupt 98)

Ende 1942 Martha Liebermann erleidet einen Schlaganfall und wird bettlägerig. (Wandrey 122)

Januar 1943 Die Helfer Martha Liebermanns aus der Schweiz können sich mit den Deutschen Behörden über die Zahlungsmodalitäten ihres Teil des Lösegeldes nicht einigen. Ein Grund hierfür war auch die am 5. Januar von den Alliierten in London abgegebene Erklärung, nach der sie sich das Recht vorbehielten, über die Gültigkeit aller Vermögenstransaktionen mit dem Deutschen Reich zu entscheiden. (Lengefeld/Roeloffs-Haupt 99)

05. März 1943 Gegen 8 Uhr will ein Kriminalbeamter Martha Liebermann aus ihrer Wohnung zum Abtransport in das Konzentrationslager Theresienstadt abholen. Martha nimmt eine Überdosis Veronal und wird in das Jüdische Krankenhaus Berlin gebracht. (Wandrey 122)

10. März 1943 Martha Liebermann stirbt im Jüdischen Krankenhaus. (Wandrey 122)

23. März 1943 Martha Liebermann wird auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee beerdigt. Der jüdische Friedhof an der Schönhauser Allee, auf dem sich das Familiengrab der Liebermanns befindet, war von der SS beschlagnahmt worden. (Wandrey 122)

26. März 1943 Der gesamte Nachlaß von Martha Liebermann wird zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. (Wandrey 122)

31. März 1943 Die Gestapo beschlagnahmt das Grundstück Pariser Platz 7. (Wandrey 122)

11. Mai 1954 Martha Liebermann wird in das Erbbegräbnis auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee umgebettet und neben ihrem Ehemann Max Liebermann beerdigt. (Wandrey 122)

08. Juni 2005 Ein Stolperstein für Martha Liebermann wird vor das Max-Liebermann-Haus am Pariser Platz gesetzt.

Literatur

Lengefeld, Cecilia / Roeloffs, Haupt (2007): »Mir ist die Situation unerträglich geworden«. Martha Liebermanns verzweifelte Hoffnung auf eine Ausreise nach Schweden, in: Faass, Martin (Hg.), Martha Liebermann (1857-1943). Lebensbilder, Berlin, S. 86-113.

Schmalhausen, Bernd (1994): »Ich bin doch nur ein Maler«. Max und Martha Liebermann im Dritten Reich, Hildesheim/Zürich/New York.

Wandrey, Petra (2007): Chronologie, in: Faass, Martin (Hg.), Martha Liebermann (1857-1943). Lebensbilder, Berlin, S. 113-125.