Rezension: Albert Speer. Eine deutsche Karriere
Cover: Albert Speer. Eine deutsche Karriere
Albert Speer war eine der prominentesten und mächtigsten Nazigrößen überhaupt. Trotzdem ist es ihm gelungen, sich sogar über seinen Tod im Jahr 1981 hinaus, als unpolitischen, aber genialen Technokraten zu stilisieren, der von den Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus nichts gewußt, geschweige denn daran mitgewirkt habe. Magnus Brechtken widerlegt in seinem Buch »Albert Speer. Eine deutsche Karriere« nicht nur endgültig diesen zählebigen Speer-Mythos, sondern ergründet auch die Ursachen dafür, wie es Speer gelungen ist, diesen im Geschichtsbild der Bundesrepublik zu etablieren und lange am Leben zu erhalten.
Mit gut 900 Seiten inklusive rund 300 Seiten Anmerkungsapparat und Literaturverzeichnis liefert Brechtken, renommierter Zeithistoriker und stellvertretender Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, die bislang umfassendste Biographie Albert Speers ab. Er zeichnet darin zunächst ausführlich Speers Karriere im Dritten Reich nach und beschreibt dabei, wie markant Speers Stilisierung als angeblicher unpolitischer Technokrat den historischen Tatsachen widerspricht.
Eines der grundlegendsten Bestandteile des eigenen ›Entnazifizierungsprojektes‹ Speers ist dessen Behauptung, vom Holocaust nichts gewußt zu haben. So wurde Speer völlig arglos von Joachim Fest in einem Interview 1969 gefragt: »Sie waren einer der einflussreichsten Minister in der Zeit des Dritten Reiches, haben Sie je den Namen Auschwitz in dieser Zeit gehört?« Speer antwortete: »Ich habe ihn nicht direkt gehört. (Brechtken 200) Ich bin dieser Frage ausgewichen mit dem Gefühl, dass es sich hier um eine ganz ungeheuerliche Angelegenheit handelt.« Fest schien diese Antwort für überzeugend zu halten, er insistierte nicht weiter. Brechtken hingegen weist nach, dass Speer nicht nur von Auschwitz wußte, sondern auch direkt in den Ausbau des Lagers zur Todesfabrik involviert war. So hat Speer beispielsweise in seiner Funktion als »Reichsminister für Bewaffnung und Munition« und als »Herrscher über die Bauressourcen« im September 1942 eine Besprechung abgehalten, um mit maßgeblichen Funktionären, wie es technokratisch hieß, die »Vergrößerung Barackenlager Auschwitz infolge Ostwanderung« zu erörtern. (Brechtken 170) »Ostwanderung« war der Tarnbegriff für den laufenden Deportations- und Vernichtungsprozess. Speer genehmigte dann die »Vergrößerung des Barackenlagers Auschwitz im vollem Umfang« und stellte »ein zusätzliches Bauvolumen für Auschwitz in Höhe von 13,7 Millionen Reichsmark»« bereit. Die zu finanzierenden Baumaßnahmen wurden detailliert in einer Bauakte beschrieben. Sie trug den Titel »Vorhaben: Kriegsgefangenenlager Auschwitz (Durchführung der Sonderbehandlung)«. (Brechtken 173) »Sonderbehandlung« war der Tarnbegriff für Ermordung. Nach der Fertigstellung der von Speer finanzierten Krematorien in Auschwitz im März 1943 wurden dort täglich viertausend Menschen verbrannt.
In der zweiten Hälfte seines Buches widmet sich Brechtken der Nachkriegskarriere Speers als Autor und international gefragter Zeitzeuge zum Thema Nationalsozialismus. Diese Karriere wurde bereits in der Spandauer Haftzeit akribisch von ihm vorbereitet, wo er die ersten Manuskripte für seinen Bestseller »Erinnerungen« verfasste, der sich von 1965 bis 1976 weltweit nahezu drei Millionen mal verkaufte. Hier lernte er auch seine wichtigsten Helfer kennen: Seinen Verleger Wolf Jobst Siedler und Joachim Fest, der als Speers Lektor fungierte und später zum FAZ-Herausgeber und Autor zahlreicher Geschichtsbücher zum Thema Nationalsozialismus avancierte. Fest, wie auch Siedler begründeten ihre Karrieren auf der extrem erfolgreichen Zusammenarbeit mit Speer. Für Brechtken waren sie somit »ideale Mitkonstrukteure für Speers Fabelgeschichten«. (Brechtken 419) Fests überaus erfolgreiche Hitlerbiographie und weitere seiner Werke zum Thema Nationalsozialismus beruhten weitgehend auf den Interviews die Speer ihm im Kriegsverbrechergefängnis Spandau im Zuge der gemeinsamen Arbeit an den »Erinnerungen« gab und die Fest exklusiv als ›Quelle‹ zur Verfügung standen. Brechtken urteilt über Fest: »Der eigentliche Skandal vieler Festpublikationen liegt darin, dass er bis zum Schluß immer und immer wieder Legenden, Lügen und Märchen nacherzählte, ihnen gar stilistischen Glanz verlieh und diese Kolportagen als Geschichtsschreibung verkaufte«. (Brechtgen 573)
Am Ende bleibt Magnus Brechtken in seiner kritischen und sehr lesenswerten Biographie nur das Staunen über die Naivität vieler Zeitgenossen und auch mancher Historiker, die Speers Erzählungen ungeprüft Glauben schenkten, weil sie ihm glauben wollten. Speers Texte sind nunmehr historische Dokumente, »die Auskunft geben - allerdings nicht darüber, wie und was der Nationalsozialismus war, sondern darüber, wie die Nachkriegsgesellschaft die NS-Herrschaft, ihre ehemaligen Führer und die eigene Geschichte sehen wollte und wie es Speer gelang, diese Wünsche über Jahrzehnte zu bedienen.« (Brechtgen 573)
»Albert Speer. Eine deutsche Karriere« von Magnus Brechtken ist im Siedler Verlag erschienen (912 Seiten).
Literatur
Speer, Albert (1965): Erinnerungen. Frankfurt.
Fest, Joachim C. (1973): Hitler. München.